Wieland der Schmied

Der Nachwelt ist manche Hönnetaler Sage, die von geheimnisumwitterten Geschehnissen aus alten Zeiten berichtet, erhalten geblieben. Die historisch und literarisch interessanteste Sage berichtet von Wieland dem Schmied, der bei zwei Zwergen im Berg Ballofa das Schmiedehandwerk erlernt haben soll.

Riese Wade, Abkömmling eines seeländischen Königshauses, hatte seinen Sohn Wieland mit 9 Jahren dem berühmten Waffenschmied Mimir aus dem Hunenland anvertraut. Ihm diente auch Jung-Siegfried. Als Wade erfuhr, dass Siegfried seinen Sohn schlug und misshandelte, holte er ihn "nach drei Winter" heim nach Seeland. Dort hörte er von zwei Zwergen, die im Berg Ballofa eiserne Brünnen, Schwerter und Helme, aber auch edles Geschmeide aus Gold und Silber besser zu schmieden verstanden als alle anderen. Vater und Sohn wanderten zum Berg Ballofa. Gegen eine Mark in Gold versprachen die Zwerge, Wieland 12 Monate lang das Schmieden zu lehren (Lehrgeld!). Als Wade pünktlich nach einem Jahr erschien, um Wieland abzuholen, weigerten sich die Zwerge, Wieland freizugeben, weil er "so gut zu schmieden verstand". Um über Wieland ein weiteres Jahr verfügen zu können, zahlten sie Wade die "eine Mark Gold" zurück, drohten aber, seinem Sohn den Kopf abzuschlagen, wenn er nicht auf den Tag genau abgeholt werde. Misstrauisch geworden, verbarg Vater Wade beim Abschied sein Schwert in dichtem Buschwerk. Wieland sollte sich bei drohender Gefahr wehren können.

Wielands Schmiedekunst übertraf bald die seiner Meister. Sie hassten ihn aus Neid. Als der Riese Wade drei Tage vor der Zeit kam, um seinen Sohn abzuholen, fand er den Berg verschlossen. Von der langen Reise ermüdet, legte er sich am Fuß eines Berghanges zum Ruhen nieder. Ein Unwetter überraschte ihn im Schlaf. Schnee, Steine und Baumstämme, die sich vom Berg lösten, begruben ihn. Später öffneten die Zwerge den Berg. Wieland fand seinen Vater - vom Bergsturz erschlagen. Ihn dünkte nicht Gutes, weil der bestimmte Tag schon verstrichen war. So zog er das Schwert aus dem Busch und tötete die beiden Zwerge in ihrer Bergwohnung. Schmiedewerkzeug und Kleinodien lud er auf ein Pferd und machte sich auf den Weg in seine dänische Heimat, wo er neue Abenteuer, aber auch schicksalhafte Begegnungen zu bestehen hatte. Als Hofschmied König Nidungs schmiedete Wieland Eisen zu scharfem, biegsamem Stahl. Das erste "Ganzstahlschwert der Welt" wurde unter dem Namen "Volund" (= Wieland) begehrte Handelsware.

Wielands Lebensgeschichte ist eine Nebenhandlung der Dietrichsage, die im 13. Jh. von unbekannten altnordischen und schwedischen Autoren aufgeschrieben wurde. Die Dichter nahmen Authentizität für sich in Anspruch. Sie beriefen sich dabei auf altsächsische bzw. altnordische Handschriften, aber auch auf Berichte niederdeutscher Zeitgenossen (Soester Quellen u.a.). Die Wieland-Texte der altnordischen Thidrekssaga (3 Fassungen) und der altschwedischen Didriks-Chronik (2 Fassungen) weichen inhaltlich nur unerheblich voneinander ab. Die landeskundlichen Angaben stimmen mit der Wirklichkeit überein.

Trotzdem sind Zweifel angebracht, dass Wieland in oder bei ballofa das Schmiedehandwerk erlernte. Die unterschiedlichen Lautungen in der ballowa Vita Lugeri) und den 5 Fassungen der nordischen Dietrichsage (ballowa, ballofa, kallava, kallafua und kallaelffua) spiegeln nur idiomatische bzw. schreibtechnische Eigentümlichkeiten der Sprachen wider, betreffen also die gleiche Ortsangabe. Ob es irgendwo im Hönnetal einen Berg "ballofa" gegeben hat, bleibt einer spekulativen Beweisführung überlassen. Ballofa (oder Ballowa) war aber offenbar bereits im 8. / 9. Jh. der Name für einen begrenzten geographischen Raum im Hönnetal oder für eine großflächige Hofanlage in der Hand eines edlen Geschlechts, der später auf einen dörflichen Siedlungsbereich im Hönnetal übertragen worden ist.

Wohnen und Schmieden in einem Berg setzt geeignete Hohlräume voraus. Lediglich die Große Burghöhle hätte sie bieten können, keinesfalls jedoch die Balver Höhle, deren Zugang noch vor 150 Jahren ein 15 m hoher Lehmberg hinter dem Eingang versperrte. Allerdings wurden auch in der Burghöhle weder Zeugnisse noch Spuren gefunden, die auf eine Nutzung als Waffen- und Kunstschmiedewerkstatt schließen lassen. Schmelzofenreste, Abraum- und Aschenhalden bei Klusenstein und an Südhängen des Balver Waldes weisen lediglich auf (undatierte) frühzeitliche Eisengewinnung hin.

Von kulturgeschichtlichem Interesse ist damit die Frage, ob bereits in vormittelalterlichen Zeiten im Hönnetal Metalle gewonnen und verarbeitet worden sind, so dass der handwerklich-wirtschaftliche Hintergrund der Wielandsage der Wirklichkeit nahe kommt. Nach den Grabungsergebnissen bei Garbeck-Höveringhausen kann sie eindeutig bejaht werden. Bereits im 1. Jh. n. C. gab es im Hönnetal Metallverarbeitung. Wer aber waren die Lehrmeister der damaligen Bewohner und ihrer Vorläufer? Es können nur Menschen des keltischen Kulturkreises gewesen sein. Keltische Unternehmer und Kaufleute handelten bis in den hohen Norden. So werden sie um 500 v. C. auch den Wert und Nutzen der Erzvorkommen des Balver Umlandes für ihre Geschäfte entdeckt haben. Sie lehrten begabte Einwohner, Erze (Metalle) zu finden, zu schmelzen und zu verarbeiten. Der im Mittelalter gebräuchliche Begriff "Waldschmiede" weist auf Tätigkeiten dieser Menschen abseits landwirtschaftlich genutzter Flächen hin.

Die Wielandsage enthält alle klassischen Merkmale germanischer Sagas der Völkerwanderungszeit: die Geschicke von Riesen und Zwergen, Fürsten, sieggewohnten und tragischen Helden, die Folgen menschlicher Eigenarten (Ruhmsucht, Hinterlist, Rache). Reale Vorkommnisse werden mystisch überhöht. Die Wielandsage lässt sich inhaltlich drei Motivkreisen zuordnen, die Menschen damals bewegte:

  • der Welt der Zwerge, die geheimnisumwittert in Bergen hausen, Bodenschätze zu nutzen wissen und ihr Wissen trickreich zu schützen suchen,
  • dem "weltweiten" Ruf berühmter Waffen- und Kunstschmiede an der Schwelle zum Mittelalter als Repräsentanten neuer Techniken und Fortschrittserwartungen,
  • der Schicksalhaftigkeit eines Menschen königlichen Geblüts, der dem üblichen Heldenleben waffentüchtiger Recken entsagt und sich "modernen" technischen Entwicklungen zuwendet. Wieland agiert gewissermaßen als Antiheld, als Gegenpol zu ruhmreichen Recken der verflossener Zeiten.

Entkleidet man diese Handlungen des schmückenden oder mystischen Beiwerks, erhalten wir Geschichten, die einen Blick in damalige wirtschaftliche und soziale Verhältnisse erlauben, ein Bild von der Gedankenwelt der Menschen während der Übergangsphasen von der alt- zur mitteldeutschen Zeit vermitteln, einen Eindruck von dem geben, was Menschen damals bewegte und interessierte. Erzählungen über Zwergenschicksale und berühmte Kunstschmiede entstanden an vielen Orten und zu verschiedenen Zeiten. Um sie erzählbar und spannend zu machen, benötigte der Dichter eine tragende Gestalt, d.h. einen heldenhaften Recken oder einen volkstümlichen Antihelden. Bereits die Ursage von Wieland - offenbar niederdeutscher Herkunft, auf die sich die Autoren der altnordischen Dichtung berufen, war eine Kompilation zeitgefälliger Motive, eine Mär, die von Ort zu Ort wanderte. Ob Wieland wirklich hier oder dort einmal lebte, ist nicht von Bedeutung. Wichtig sind die Einblicke, die uns die Sage vermittelt.

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